Die Steuern der Welt werden neu verteilt

12.06.2021

Über die möglichen Auswirkungen der neuen internationalen Steuervorschriften auf den Wohlstand in Luxemburg

Seit 2015 entwickeln sich die internationalen Steuerregelungen stetig weiter. Hinter Akronymen wie CCCTB, BEPS-ATAD, GILTI oder BEFIT werden Paradigmenwechsel angekündigt und aufgebaut, deren Auswirkungen für Luxemburg deutlich spürbar werden könnten. Das Großherzogtum ist ein kleines Land, das sich mit Hilfe von Fachkräften aus mehr als 170 verschiedenen Nationen in Finanzdienstleistungen spezialisiert hat. Letztere generieren 77 Prozent der direkten Unternehmenssteuern. Für unser Land steht bei internationalen Steuerverhandlungen daher viel auf dem Spiel.

Multinationale Unternehmen begegnen einer Vielzahl von Steuerregelungen und internationalen Steuerabkommen. Sie können vorteilhafte Regelungen und die fehlende Harmonisierung zwischen ca. 206 unterschiedlichen nationalen Steuergesetzen nutzen, um ihre Steuerpflicht regelkonform zu minimieren und den Weg der geringsten Besteuerung zu wählen. Diese Optimierungsstrategien haben zwangsläufig Auswirkungen auf die Verteilung der Steuerbemessungsgrundlagen zwischen Staaten.

Seit der Krise von 2008 ist die internationale Gemeinschaft aktiver denn je, um über das BEPS-Regelwerk diese Praxis zu bekämpfen und mehr Transparenz bei Transaktionen durchzusetzen. Doch während die Globalisierung und der Aufstieg der digitalen Wirtschaft die Notwendigkeit verstärkt haben, den internationalen Steuerrahmen anzupassen, werden die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die einzelnen Staaten nicht einheitlich sein. Die Interessen unterscheiden sich insbesondere nach der Größe des jeweiligen Heimatmarktes.

Luxemburg als Zentrum von Finanzdienstleitungen für die ganze Welt

Der Finanzsektor ist im Vergleich zu vielen anderen Sektoren traditionell sehr produktiv und profitabel. Während er in der EU nur drei Prozent der Gesamtbeschäftigung und fünf Prozent der Wertschöpfung ausmacht, ist er in Luxemburg besonders gut entwickelt und macht elf Prozent der Gesamtbeschäftigung und 27 Prozent der Wertschöpfung aus. Etwa 77.000 Menschen arbeiten in Luxemburg in diesem Bereich und generieren 77 Prozent aller von Unternehmen gezahlten direkten Steuern im Lande.

Auf den ersten Blick homogen, so besteht Eis Finanzplatz aus unterschiedlichen Akteuren – Banken, Versicherungen, traditionelle und alternative Investmentfonds und Finanzholding-Gesellschaften multinationaler Unternehmen (sogenannte Soparfi) – die alle eines gemeinsam haben: ihre Kunden sind fast ausschließlich im Ausland ansässig. Der Erfolg des Finanzstandortes hat viele Väter: politische und finanzielle Stabilität (AAA), hoch qualifizierte, weltoffene Arbeitskräfte, einfacher Zugang zum Kapitalmarkt und komplexen Finanzdienstleistungen, attraktive Steuergesetzgebung. In diesem Zusammenhang ist es somit nicht abwegig die Frage zu stellen, ob die derzeit erwogenen grundlegenden Änderungen der internationalen Unternehmensbesteuerung negative Auswirkungen auf den Beitrag des Finanzsektors zur Wirtschaft unseres Landes haben könnten.

Luxemburg ist in hohem Maße von seinem Finanzsektor abhängig. Sollte er einen Schock erleiden, dann wären Auswirkungen auf Beschäftigung, Steuereinnahmen und durch einen Dominoeffekt auf alle anderen Wirtschaftszweige eine denkbare Folge. Längerfristig gesehen mit Auswirkungen auf den Lebensstandard insgesamt.

Verschiebung vom Produktions- zum Verbraucherland

Das Prinzip des Binnenmarktes ist der allgemeine Waren- und Dienstleistungsaustausch. Unternehmensgewinne werden jedoch nicht einheitlich auf EU-Ebene sondern auf nationaler Ebene besteuert. Sobald eine Tätigkeit rechtlich und steuerlich in einem Land angesiedelt ist und die Produkte und Dienstleistungen in einem anderen Land konsumiert werden stellt sich neuerdings die Frage, welcher Staat das Besteuerungsrecht haben sollte. Bislang hatte das Produktionsland das primäre Besteuerungsrecht.

Die OECD und die EU vertreten jedoch zunehmend die Auffassung, dass dem Verbraucherland ein Teil des Besteuerungsrechts zugute kommen sollte. Hauptziel einer solchen Verlagerung der Steuerhoheit in das Verbraucherland ist es, die Verteilung der Steuermittel im Verhältnis zum demografischen Gewicht der Staaten anzupassen. Dies wäre zum Vorteil der großen Länder und zum Nachteil der kleinen Staaten, innerhalb wie auch außerhalb der EU. In dieser Hinsicht haben China und Indien mit ihren jeweils rund 1,4 Milliarden Menschen einen potenziellen Vorteil gegenüber den westlichen Ländern.

Das Aufkommen der digitalen Wirtschaft bekräftigt diese Betrachtungsweise, welche mit der Veränderung der Mehrwertsteuerregeln für den elektronischen Wandel zu Gunsten der Verbraucherländer begann und derzeit im gleichen Sinne mit Initiativen wie der GAFA-Besteuerung, CCCTB/BEFIT auf EU-Ebene oder der ersten Säule der OECD-Vorschläge zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten, fortgeführt wird. Gleichzeitig werden weiterhin andere grundlegende Änderungen verhandelt.

Die zweite Säule der OECD-Vorschläge betrifft eine globale effektive Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen für multinationale Unternehmen. Der Zeitplan sieht eine Übereinkunft Mitte 2021 vor und wird nach den jüngsten Ankündigungen der Biden-Administration und der G7-Finanzminister immer klarer.

Die Europäische Kommission stellte am 18. Mai 2021 ein neues Programm zur Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert in Aussicht, das darauf abzielt, durch zusätzliche kurzfristige und langfristig Maßnahmen ein effizientes Steuersystem für Unternehmen in der EU zu fördern. Die Ankündigung von öffentlichen Country-by-Country-Reportings auf EU-Ebene am 1. Juni 2021 steht in diesem Zusammenhang. All diese Veränderungen im internationalen Umfeld der Unternehmensbesteuerung finden vor dem Hintergrund eines sich verschärfenden Steuerwettbewerbs statt, belegt durch die US-Steuerreform unter der Trump-Administration und deren America-First-Politik oder dem Rückgang der Körperschaftsteuersätze in den OECD-Ländern von 27 Prozent im Jahr 2008 auf 23,2 Prozent im Jahr 2020.

Rückgang der Steuereinnahmen in Luxemburg?

Die OECD und die Europäische Kommission bestätigen, dass Luxemburg alle aktuellen internationalen und europäischen Initiativen umgesetzt hat.

Die Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen nach BEPS führt tendenziell zu Einschränkungen bei Steuerabzügen oder -ermäßigungen für internationale Konzerne und riskiert, dass internationale Finanzströme zum Nachteil von Finanzholding- Gesellschaften in Luxemburg umgelenkt werden.

Davon betroffen wären Steuereinnahmen aus den Finanz- und Holding-Geschäften der Wirtschaftssektoren Industrie, Gewerbe und alternative Investmentfonds (über Finanzholding-Gesellschaften). Die traditionellen Banken-, Versicherungs- und Investmentfonds-Sektoren bleiben von der BEPS-Regulierung weitestgehend unberührt. Eine indirekte Auswirkung auf ihr Geschäft ist jedoch möglich.

Die vereinfachte Zuweisung des Besteuerungsrechts an das Verbraucherland unter der 1. OECD-Säule oder unter der CCCTB/BEFIT-Initiative läuft auf eine Abkehr von der traditionellen Definition der Betriebsstätte hinaus. Sie verändert die Bemessungsgrundlagen erheblich zum Nachteil kleiner offener Volkswirtschaften wie Luxemburg und dürfte alle Sektoren betreffen. Aus diesem Grund hat sich die Chambre des députés am 22. Dezember 2016 fast einstimmig gegen eine frühere Fassung dieses Projektes ausgesprochen. Die Konsequenzen einer globalen Mindeststeuer für Luxemburg sind zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht absehbar.

Doch sowohl der IWF wie auch die EU-Kommission haben bereits auf mögliche negative Auswirkungen für Luxemburg aufmerksam gemacht. So hat etwa der IWF im November 2020 auf den Finanzholding-Sektor hingewiesen: „Während die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer in den letzten Jahren stark gewachsen sind, gibt es erste Anzeichen für Veränderungen in der luxemburgischen Wirtschaft und ihrem Einnahmenmix – in Übereinstimmung mit den erwarteten Reaktionen der multinationalen Unternehmen auf die jüngsten internationalen Steueränderungen.“ Laut den Schlussfolgerungen der Europäischen Kommission in einem 2016 veröffentlichten Dokument würde auf Ebene der EU-Mitgliedstaaten der größte Rückgang an Steuereinnahmen nach der Umsetzung der CCCTB in Luxemburg stattfinden: ein Minus von einem Prozent des BIP, das heißt 20 Prozent weniger Unternehmenssteuern. Das Finanzministerium hat diese Aussage 2018 in der Note au Formateur aufgenommen und hinzugefügt, dass „Luxemburg bei einer unveränderten Politik Gefahr läuft, seine Attraktivität als Standort für internationale Unternehmen zu verlieren“.

Vorübergehende oder dauerhafte Auswirkungen? Es ist noch zu früh, um das zu sagen, aber das Damoklesschwert wird während der bevorstehenden Debatte über die Besteuerung in der Abgeordnetenkammer diskutiert werden müssen. Auf jeden Fall greift die Debatte um die weltweite Besteuerung multinationaler Konzerne zu kurz, sofern sie nicht auch mögliche Auswirkungen dieser Änderungen auf das Luxemburger Wirtschafts- und Sozialmodell einbezieht.

Die genannten Auswirkungen der internationalen Maßnahmen auf Luxemburg werden auch von den konkreten Umsetzungsmaß nahmen der anderen Mitgliedstaaten und deren Anwendung auf internationaler oder europäischer Ebene abhängen.

Angesichts der Tatsache, dass die Karten ständig neu gemischt werden, ist es wichtig, die weltweiten Entwicklungen im Blick zu behalten und den aufkommenden Herausforderungen mit neuen Strategien zu begegnen. Rechtssicherheit und Innovationsfähigkeit sind das solide Fundament der luxemburgischen Wirtschaft, die nach wie vor ein kosmopolitischer Inkubator ist, um ihr wichtigstes Kapital – nämlich das Fachwissen qualifizierter Bürger aus mehr als 170 verschiedenen Nationen – in Produkte und Dienstleistungen zu verhandeln, die weltweit gefragt sind.

Dieser Artikel wurde vom UEL-Direktor Jean-Paul Olinger verfasst und ist am 12. Juni 2021 im Luxemburger Wort in der Rubrik „Analyse & Meinung“ erschienen.